Tagblatt : Jihad-Terroristen sind keine Moslems
WALTER BREHM
04. März 2010, 01:00
Der pakistanische Mufti Muhammad Tahir ul-Qadri verurteilt in einem islamischen Rechtsgutachten Terrorismus als «Akt des Unglaubens». Der Geistliche und Jurist spricht Jihadisten jede Legitimation ab, sich auf den Islam zu berufen, und fordert alle Moslems auf, sich zu distanzieren.
«Terror, das Töten unschuldiger Moslems und Nichtmoslems, ist ein Massaker an der Menschheit. Selbstmordattentate sind absolut gegen den Islam. Sie sind
Es ist eine Kernforderung des Westens an moslemische Autoritäten, sich ohne Wenn und Aber vom Terror der Jihadisten zu distanzieren. Muhammad Tahir ulQadri hat es nun getan. Eine gewichtige Stimme.
Qadri, ein prominenter pakistanischer Mufti, ist legitimiert, islamische Rechtsgutachten (Fatwa) zu erlassen. Ein solches Gutachten hat er am Dienstag auf der Internetseite seiner Organisation Minhaj-ul-Quran (Weg des Korans) und an einer Pressekonferenz in London veröffentlicht.
Jihadismus bedroht Weltfrieden
Zielgruppe sind junge Moslems
Erster «Krieg gegen den Terror»
Qadri erinnert daran, dass der erste «Krieg gegen den Terrorismus» nicht von US-Präsident Busch, sondern bereits während des Kalifats von Syyidina Ali, dem Schwiegersohn des Propheten, geführt worden sei. Ali habe gegen die damaligen Rebellengruppen der Khawarij und Harooria gekämpft, die im Verrat am islamischen Weg des Dialogs und der friedlichen Streitbeilegung als erste zum Mittel des Terrorismus gegriffen hätten. Bereits der Prophet habe die Khawarij als ausserhalb des Islam stehend verurteilt, was über 50 beglaubigte Haditen dokumentierten. Indem nun auch Qadri Jihad-Terroristen als ausserhalb der islamischen Gemeinschaft stehend verurteilt, geht er weiter als alle bisherigen islamischen Kritiker des Terrors.
Islamische Spiritualität beleben
Qadri stellt sich damit auch in Widerspruch zu seiner eigenen Vergangenheit. Als Jurist hat er jahrelang selber an der Islamisierung der pakistanischen Justiz mitgearbeitet. Von den Mohammed-Karikaturen in der europäischen Presse tief betroffen, forderte er vom Westen strengere Gesetze gegen die Verletzung religiöser Gefühle. Die Ernsthaftigkeit seiner Fatwa gegen den Terrorismus verteidigt Qadri aber in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters: «Ich habe jeden Stein umgedreht, bin jeder Frage im Koran und den Haditen nachgegangen.»
Al Qaida ad absurdum führen
Die Internetseite «Weg des Korans» wird weltweit gelesen, und die Fatwa Qadris soll in den kommenden Tagen zudem in Englisch, Arabisch und Urdu (islamische Sprache auf dem Subkontinent) auch als Buch erscheinen. Der Mufti ist überzeugt, das Gutachten führe die Jihadisten-Ideologie ad absurdum.
Die Fatwa argumentiert über 200 Seiten mit Dutzenden Koransuren (Versen), Haditen (von Weggefährten beglaubigte Zitate des Propheten) und unzähligen Kommentaren moslemischer Juristen. «Die Existenz der Jihadisten – Al Qaida und andere Terrorgruppen – ist eine Gefahr für den Frieden der Welt», erklärt Qadri. Er fordert alle moslemischen Gelehrten, Intellektuellen und Meinungsmacher auf, sich von den Terroristen zu distanzieren, ihre Netzwerke und deren Hintermänner als Instrumente des Unglaubens zu verurteilen. Die Fatwa des Mufti ist zwar in erster Linie eine Reaktion auf den Jihad-Terror in Pakistan. Dass Qadri aber London für seine Pressekonferenz gewählt hat, ist kein Zufall.
Der 59jährige Mufti hat junge Moslems in der Diaspora als wichtige Adressaten seiner Botschaft erkannt. Junge Männer wie der Nigerianer Umar Faruq Abdulmutallab, der vor Weihnachten versucht hatte, über Detroit ein US-Passagierflugzeug zu sprengen. Im Wissen, dass viele dieser jungen Moslems nach spiritueller Führung hungern und deshalb verführbar sind, redet ihnen Qadri mit Klartext ins Gewissen: «Es gibt keinen Platz für Märtyrertum. Diejenigen, die Grausamkeiten begehen, behaupten, sie verteidigten den Islam und die Moslems. Doch Terrorismus ist nie und nimmer Jihad, keine Anstrengung im Glauben. Glaubt nicht denen, die Euch für Mord das Paradies versprechen, deren Weg führt direkt in die Hölle.»
Was das Rechtsgutachten von Muhammad Tahir ul-Qadri besonders interessant macht, ist, dass es sich bei dem Mufti nicht um einen «modernen» Islam-Reformator handelt. Seine Organisation «Weg des Korans» ist laut ihrer Homepage dem «Frieden und der Harmonie zwischen den religiösen Gemeinschaften» verpflichtet. Sie will die islamische Spiritualität wiederbeleben, die für Qadri teilweise im mystischen Sufismus wurzelt – was mit politisch radikalisierter Buchgläubigkeit nicht zu vereinbaren ist.
Der «Moslem Council of Britain», Dachverband von 500 islamischen Gruppen in Grossbritannien, hat das Gutachten Qadris begrüsst. Wie gross der Einfluss auf die britischen Moslems – vor allem der jungen – sein wird, lässt sich schwer abschätzen. «Der Weg des Korans», die Organisation des Mufti, unterhält Filialen in London, Birmingham, Manchester, Glasgow und anderen britischen Städten. Führen sie alle eine Debatte über die Fatwa, wird dies zwar keinen Terroristen bekehren, aber viele Jugendliche heilsam mit dem Märtyrer-Kitsch der Jihadisten konfrontieren können.
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