Tagesspiegel : Schöner Schein
7.3.2010 0:00 Uhr
Einiges Aufsehen hat in westlichen Medien vergangene Woche eine neue Fatwa gegen Selbstmordattentäter und Terrorismus erregt. Endlich, so scheint es, gibt es eine klare Distanzierung des gemäßigten Islam vom Radikalismus. Das islamische Rechtsgutachten des pakistanischen Gelehrten Tahir ul Qadri ist zwar nicht die erste Fatwa in diesem Sinne, aber immerhin die bisher ausführlichste Replik auf die zerstörerische Ideologie von Al Qaida: Auf 600 Seiten weist ul Qadri nach, „wer Terrorismus propagiert, ist kein Muslim, er stellt sich vielmehr außerhalb der islamischen weltweiten Umma und wird damit ein Ungläubiger“. Und wandert keinesfalls ins Paradies, wie es sich Selbstmordattentäter meist vorzustellen pflegen, sondern in die Hölle.
Diese Abhandlung mag islamische Rechtsgelehrte und Studenten noch vieler Generationen in aller Welt interessieren. Doch der ungewöhnliche westliche Medientrubel um diese Fatwa verdeckt, dass ihr Einfluss eher gering bleiben wird. Denn der pakistanische Gelehrte hat in der arabisch-muslimischen Welt kein Gewicht. Und bei Aktivisten, die den Islam politisch auslegen, kann er wohl nicht punkten. Ul Qadri führt die Minhaj-ul-Quran-Gruppe an, die einen nicht politischen, sondern eher am spirituellen Sufismus orientierten Islam propagiert. Dessen Anhänger waren ohnehin noch nie in der Versuchung, eine Bombe zu werfen. Die jungen Männer, die extremistischen Islam-Auslegungen folgen, sind aber meist extrem politisiert und weniger gründlich im islamischen Recht oder der Auslegung religiöser Texte ausgebildet. Es ist unwahrscheinlich, dass diese potenziellen Attentäter die 600-Seiten-Fatwa lesen. Sie suchen sich ihre religiösen Autoritäten selbst aus.
Dass die Fatwa von ul Qadri vor allem im Westen Aufsehen erregt, sagt eher etwas über die Methoden moderner Öffentlichkeitsarbeit und die Erwartungen des Westens aus. Denn die Fatwa wurde schon im Vorfeld von der Quilliam-Stiftung beworben, einem antiextremistischen Think Tank in London, der im vergangenen Jahr eine Million Pfund von der britischen Regierung erhielt. Wenig überraschend lobte die britische Regierung sogleich das Rechtsgutachten in der Hoffnung, es werde junge Muslime in Großbritannien beeinflussen. Schon vor seiner Veröffentlichung waren die britischen Zeitungen seitenweise voll des Zuspruchs.
All dies macht die Fatwa in den Augen radikaler Muslime erst recht verdächtig. Anders als oft angenommen, ist eine Fatwa auch nicht allgemein verbindlich, sondern eine rechtliche Meinungsäußerung muslimischer Rechtsgelehrter. Andere Rechtsgelehrte können anderer Meinung sein. Es gibt im Islam keinen Papst, der das letzte Wort hat.
Interessant – aber auch fragwürdig – ist, dass ul Qadri den Spieß gleich umdreht und die gewaltbereiten Extremisten vom Islam ausschließt. Das ist sicher konsequent. Und mag die Betroffenen sogar schmerzen. Denn bisher war es die Wunderwaffe radikaler Extremisten, anders denkende Muslime als vom Glauben Abgefallene zu bezeichnen. Nach klassischem Verständnis der Scharia steht darauf die Todesstrafe. Jetzt nutzt ein gemäßigter Gelehrter dieses Mittel. Dem gefährlichen Streit, wer ein Muslim ist und wer nicht, wird damit kein Riegel vorgeschoben.
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